Blick auf St. Gertraud im Ultental. Im Hintergrund das Kirchbergtal.

»Mein Gott ja! Da drinnen vermählt sich nicht die weiß bemantelte Königin der Spitzen mit dem Alpenkönig Ortler, um über die biederen Suldner zu herrschen. Die Ultner verfügen nicht über ein förmliches ‘Panorama’ der Ortlergruppe nebst zahlreichen lohnenden Übergängen in die Ötztaler Eiswelt wie die Matscher, und die Ultner können keinen Eisbergzirkus als Talabschluss bieten wie die Schnalser. Und doch haben sie von all dem etwas abbekommen. Und wie sie eine Figur, die man beim Brotbacken aus den letzten zusammengekratzten Resten des Teigbrettes knetet und backt, ‘Gott’ heißen, so hat der liebe Gott den Ultnern als letzten etwas von allen Schönheiten der anderen Täler zusammengescharrt und verliehen…« – Hans Matscher, Das Tal Ulten.

Es ist ja nun nicht geradezu so, dass man mich an den Rechner prügeln muss; seit reichlich 30 Jahren ist er meine Werkbank und noch immer faszinieren mich die schier unerschöpflichen Möglichkeiten dieser Maschine. Aber etwas erstaunt war ich schon über die Ausdauer, die Ursula beim Ausprobieren der Wander-CD des Tourismusverbandes Ultental-Deutschnonsberg entwickelte, die vor einiger Zeit dem DAV-Panorama beilag. Besonders fasziniert war sie von den »Hubschrauberflügen« über die vorgestellten Routen. Aber vor Ort stellte sich schnell heraus, dass die Erde eben doch keine Scheibe ist, und schon gar nicht in den Alpen…

Der Standort

Kirche St. GertraudBlick auf St. Gertraud (Oberdorf). Vorne rechts das Hotel Arnstein.Das Ultental verläuft südlich und parallel zum Vinschgau vom Etschtal zum Ortlermassiv, wobei es sich in mehrere Seitentäler verästelt. Es ist etwa 30 km lang und bietet in seinem Verlauf von den Weinbergen bei Lana bis zu den östlichsten Gletschern des Ortlermassivs im Talschluss abwechslungsreiche Landschaftsbilder. Die Zufahrt von Lana aus hält sich erst auf einer Hangschulter hoch über der Falschauer, da das Tal hier schmal ist. Bei St. Walburg etwa weitet es sich und bildet bis zum Talschluss bei St. Gertraud etwas breitere Almböden. Seit einigen Jahren führt auch eine Fahrstraße (mit Scheiteltunnel) aus dem Val di Sole über den Deutschnonsberg (Proveis, Laurein) ins Ultental.

Das Tal ist noch recht bäuerlich, d. h. immer noch prägend sind die blumengeschmückten Höfe auf den Hängen, deren steinbeschwerte Schindeldächer noch nicht zur bloßen Staffage heruntergekommen sind. In den Ortschaften, und besonders in Kuppelwies (Schilauf), entstehen aber immer mehr Unterkünfte im pseudo-alpinen Stil. Und seit die Baustraße zum Weißbrunnsee allgemein freigegeben ist, zieht natürlich auch Ausflugsverkehr dorthin; glücklicherweise beschränken sich die meisten Insassen dann darauf, die Fiechtalm (handgemachte Musik) oder die Knödlmoidl (Konservenmusik) heimzusuchen, sofern sie nicht direkt am Ufer parken und den Klappstuhl auspacken.

St. Gertraud (1504 m) liegt im hinteren Tal, wo es sich Y-förmig ins Kirchbergtal und zum Weißbrunnsee verästelt. (Zum Vergrößern der Bilder draufdrücken)

Und obwohl der Ausgangspunkt also nicht gerade niedrig liegt und die umgebenden Gipfel nicht gerade Himalaja-Format haben (als östlichster Dreitausender des Ortler-Massivs ist das Hasenöhrl mit 3257 m die höchste Erhebung), bedeutet das ganz ansehnliche Auf- und Abstiege. Wenn man dann keinen Hubschrauber hat und darauf verzichtet, mit dem (bei uns sowieso nicht vorhandenen) Auto bis zu den Ausgangspunkten zu fahren, ergeben sich satte Tagestouren mit einer beträchtlichen Zahl an Höhenmetern, die man abends schon etwas spürt – die einen aber auch sehr zufrieden mit sich in das Abendprogramm entlassen, besonders, wenn das Wetter so mitspielt, wie in unserem Urlaub.

Die Touren

Blick vom Nagelstein ins UltentalGipfelkreuz des Nagelsteins (2469 m)Freitag, 22. Juli 2005. Gleich der erste Tag lockt uns auf den Hausberg, den Nagelstein, der sich hinter dem Kirchhügel aus dem Fichten- und Lärchengrün als brauner Feldsklotz absetzt (auf dem Titelbild rechts zu sehen).

Der Weg beginnt an der Kirche von St. Gertraud und führt durch Wald und über steile Grasrücken (bei Nässe besser so im Aufstieg). Unterwegs gibt es reichlich Gelegenheit, für ein paar Himbeeren oder Walderdbeeren mal zu verschnaufen. Kurz hinter einer kleinen Almhütte mit Farbmarkierung (offen, Unterstand) stößt man dann auf eine »Bank mit Aussicht« und weiter oben auf einem locker bewaldeten Sattel gar auf Tisch und Bank (Abstiegsmöglichkeit zum Weißbrunnsee). Genau das Richtige für die Eingehtour!

Der weitere Aufstieg zum Gipfelkreuz führt meist am Grat entlang; es gibt ein paar rutschige und ausgesetzte Stellen (einmal mit flammneuer Kettensicherung). Am Gipfelkreuz (2469 m, mit Buch) liegt einem praktisch das ganze Ultental zu Füßen. Etwas abwärts davon ein schöner Rastplatz mit Blick auf den Weißbrunnsee. Hier gehen auch Wegspuren zum eigentlichen Gipfel (Pyramide) ab: Erst rechts, dann links vom Grat halten, kleines Blockfeld überklettern, durch eine Wiesensenke, dann zuletzt im Geröll aufwärts. Abstiegsmöglichkeiten über die Fiechtalm (freilaufende schwarze Schweine) oder Weißbrunnalm. Nach der Fiechtalm geht man vom Almweg links ab durch eine Wiese, quert nochmal einen Almweg (zum Weißbrunnsee), dann geht es steil durch Wald bis zu den Weiden unterhalb des Hotels.

In den einsamen Karen der Magdalener Berge (Hinterer Alplahner See)Wegweiser an den Alplahner SeenMittwoch, 27. Juli 2005: Rundtour zu den Alplahner Seen. Ausgangspunkt ist wieder das Kirchbergtal. In einer großen Schleife des Almweges steigt man links hoch durch Wald in eine Schlucht, an deren (orogr. rechtem) Hang man die Almböden unterhalb der Seen erreicht. Von der Inneren Seefeld-Alm (2245 m; mit Hirte, aber nicht bewirtschaftet) geht es über den Bach zur nächsten Talstufe in die eindrucksvollen und einsamen Hochkare. Dort sollte man sich eine schöne Stelle aussuchen und einfach eine Zeit lang die Stille genießen, die nur vom leisen Glucksen des Wassers und ein paar Vogelrufen unterbrochen wird. Die Markierung ist gut, es wurde nicht mit Farbe gespart. Sollte man bei Nebel dennoch die Orientierung verlieren, gilt: Wenn mindestens ein Fuß nass ist, und der Höhenmesser 2382 m anzeigt, hat man den mittleren Alplahner See erreicht.

Am großen See trifft man auf den Ultner Höhenweg (Nr. 12), das Pendant zum Bonacossa-Weg (Nr. 133) auf der anderen Seite der Bergkette (Magdalener Berge, Le Maddalene) die hier die Grenze zum Trentino bilden (Welscher Berg!). Über den Passo Alplahner (2502 m) und das Klapfberg-Joch (2296 m) gelangt man auf den Bonacossa-Weg und durch das Val Brésimo ins Nonstal. In der anderen Richtung führt der Höhenweg 12 zur Haselgruber Hütte; von dort gelangt man wieder zurück ins Kirchbergtal.

Die Pilshöfe, die höchstgelegenen Höfe im TalFreitag, 29. Juli 2005: Höchster Hütte am Grünsee. Am Grünsee erreicht man die Ausläufer der Ortler-Gletscher. Wir hatten keine Gletschertour geplant, wollten aber doch wenigstens bis zum Rand gehen. (Auf der Hütte kann man wöchentlich mit Voranmeldung Ausrüstung und Führer heuern.)

Hygrometer an einer ScheuneEs war ein richtiger Glückstag: Strahlendes Sommerwetter und – Ruhe. Wegen Erneuerung der Fahrbahndecke war die Weißbrunnstraße für den Autoverkehr gesperrt! Am frühen Morgen (fast nach einer zweiten Dusche – überall in den Wiesen drehen sich große Bewässerungsspritzen) erreichten wir in himmlischer Ruhe den See und machten und an den Hüttenaufstieg (drei Zeitmodelle bietet der Wegweiser hinter der »Knödlmoidl« zur Auswahl: Für Läufer, Geher und Spaziergänger).

Es ist ein schöner Hüttenweg, der teilweise gepflastert halb um eine Bergschulter herum führt (es geht allerdings noch komfortabler: Die Arbeiter des E-Werks haben eine private Gondelbahn). Nach einem Drittel des Wegs kommt ein Brunnen gerade recht für eine kleine Rast (weiter oben, vor dem letzten Rücken gegenüber dem Wasserfall gibt es noch eine Rastbank). Am Brunnen trafen wir zwei Niederländer (Onkel und Neffe), die eine sehr interessante Hüttenwanderung machten: Vom Ötztal ins Schnalstal, über die Hütten Dorigoni, Haselgruber, Höchster nach St. Gertraud und mit dem Bus nach Meran.

Grünsee-HüttePlan der WasserhaltungVon der Hütte hat man einen prächtigen Blick über (den wirklich tiefgrünen) See zu den Gletschern der Eggenspitzen und zur Zufrittspitze. Die Hütte ist sehr gemütlich, der Wirt Dominikus hütet einen wahren Bücherschatz. Im DAV Alpenvereinsführer Ortleralpen fehlt übrigens die Höhenangabe der Hütte: 2561 m. Hinter der Hütte führt dann ein Weg zum Weißbrunner Joch (3155 m) oder zum Zufritt-Joch (3142 m), wo man die Gletscherzone erreicht.

Zurück kann man über den Staudamm gehen und in einem Bogen durch das Kar zum Fischersee und weiter zum Weißbrunnsee absteigen. Wenn man hinter den Pilshöfen wieder auf die Weißbrunnstraße trifft, muss man etwas aufpassen: Der Fußweg nach St. Gertraud (Alter Weißbrunnweg) zweigt nach einigen Metern auf der Teerstraße ohne Markierung nach rechts ab (durch Holzstangen geschlossen).

Samstag, 30. Juli 2005: Mit dem Bus fahren wir nach Lana (Seilbahn) und machen eine Wanderung zum Vigiljoch mit seinem romanischen Kirchlein und über die Rauhe Bühel taleinwärts auf einem aussichtsreichen Höhenweg (Nr. 9 und 1). Je nach Situation kann man diesen Weg auf einem (meist sehr steilen, im oberen Verlauf stellenweise nur Trittspuren) Abstieg verlassen, um wieder zur Talstraße zu gelangen (Bushaltestellen sind in der Tabacco-Karte eingezeichnet). Der klassische Streckenverlauf führt bis zur Inneren Falkomai-Alm mit Abstieg nach St. Gertraud (ca. 8 – 10 h Gehzeit). Diese Alm bietet sich auch als Zwischenziel für eine Tagestour zu den »Drei Seen« bzw. zum Peilstein (2542 m) von St. Gertraud aus an.

FlatschhöfeDonnerstag, 4. August 2005. Strahlend blauer Himmel, frischer Wind, klare Luft: Bergwetter, wie es sein soll! (Einen geflügelten Spruch gab es bald: »Morgen ist Hasenohr-Wetter«. So wurde bei den abendlichen Runden auf der Terrasse der Wetterbericht konkretisiert.)

Von der Teerstraße am Hotel geht es durch das Unterdorf zwischen Haus 118 (rechts) und Schuppen (links) auf unmarkiertem Steig hinunter zur Falschauer (Steg) und zu den Höfen von Stein. Dort die Weißbrunnstraße überqueren und auf sehr gutem Pfad (143) in Serpentinen hoch in den Wald und zu den Flatschhöfen. Auf halbem Weg nach Mittern Bildstock mit etwas makabrer Inschrift (siehe Bild ganz unten). Bald danach geht links ein markierter, aber nicht beschilderter Steig hinauf zum Hof Endersten, wo er auf die Fahrstraße, die von der Weißbrunnstraße abzweigt, stößt (dort beliebter Parkplatz). Unterwegs einige gute Fotografierstellen mit Blick auf St. Gertraud, einmal ragt nur der Turm aus den Tannenspitzen. Weiter auf dem Weg 145 hinauf nach Mittern und nach dem Hof rechts kurzes Stück auf Teerstraße, dann in Rechtskurve links hoch in den Wald (vorher noch Abzweig mit Wegweiser Schusterhütte). Dieser Weg zur Kaserfeldalm ist eine großenteils ebene Hangquerung mit ständig schönen Ausblicken auf die Ultner Südkette. Er ist dem Weg 146 entschieden vorzuziehen (der ist teilweise zertrampelt und häufig von lauten Menschen begangen, weil die meisten Besucher der Kaserfeldalm auf der Teerstraße bis Hof Obersten fahren und dort parken).

KaserfeldalmDie Kaserfeldalm (1944 m) liegt sehr aussichtsreich (Blick zur Ilmenspitz) und ist der richtige Platz, um sich vor dem Anstieg auf’s Hasenöhrl zu stärken. Wer dorthinauf will, fährt allerdings meist zur Kuppelwieser Alm hoch (1800 m) und geht am Arzkar-Stausee vorbei über das Latscherjöchl (2507 m) und die Blaue Schneid zum Gipfel (3257 m) und hat bei der Tour 3 Stunden gespart – ich frage mich dann immer, bei welcher Sparkasse man die wohl einzahlen kann. Der Weg von der Kaserfeldalm (mit einem H markiert) führt weiter über die Schusterhütte (2138 m, bewirtschaftet) und die Schäferhütte (2286 m) über den Südostgrat zum Gipfel. Der Blick geht von den Dolomiten über Brenta und Presanella zur zentralen Ortlergruppe.

Zum Abstieg bietet sich der Weg 143 durch das Flatschbergtal an (im unteren Teil Almweg; Einkehrmöglichkeit an der unteren Flatschbergalm).

Weg zum Breitbühel. Ein weiterer beliebter und leichter Aussichtsberg über dem Ultental (2278 m). Vom Klapfbergtal führt zur Londai-Alm jetzt ein neu trassierter Almweg, der selbst auf der neuen Tabacco-Karte noch nicht eingetragen ist, und durch den die bisherige Wegführung und Markierung teilweise zerstört sind (eine weitere Karten-Korrektur: Der Aufstiegsweg von der Talstraße (Bushaltestelle) ist bis zur Schranke geteert). An der Alm kann man einkehren und bei einem kühlen Trunk fetten Murmeltieren beim Spielen und Sonnen am Hang direkt neben der Hütte zusehen. Über den Breitbühel steigt man dann über die Äußere Seefeld-Alm ins Kirchbergtal ab.

Weitere Ziele. An Gipfelzielen der unterschiedlichsten Couleur (Gras, Fels, Firn und Gletscher) ist das Ultental schier unerschöpflich, da ist Hans Matscher, der eingangs zitiert wurde, ganz sicher zuzustimmen. Einmal trafen wir auf eine Gruppe der DAV-Sektion Dortmund, die unter dem Motto »Sieben Gipfel in sieben Tagen« eine Woche unterwegs war. Als zwei längere Touren, die wir zwar ins Auge gefasst, aber dann doch nicht gemacht hatten, bieten sich an zum Ersten der Ultner Höhenweg (Nr. 12), der sich über die Grate und Kare der Magdalener Berge zieht und verschiedene Zu- und Abstiegsmöglichkeiten bietet. Zum Zweiten eine Tour über das Samer Joch zu den deutschen Sprachinseln im hinteren Nonsberg (Proveis und Laurein). Leider fährt der Bus (morgens mit Umstieg und Wartezeit in oder vor St. Walburg, abends ziemlich spät) sehr ungünstig.

Kreuz an den PilshöfenBildstock mit InnenlebenAm Wegesrand. Wie überall in Südtirol, trifft man auch hier allenthalben auf Bildstöcke, Wegkreuze, Gedenktafeln und Wetterkreuze. Darunter finden sich wahre Kleinode, wie das links abgebildete. Viele erzählen Geschichten aus dem rauen Alltag der Menschen, vom 71-jährigen, der im Juni 1909 beim Viehauftrieb auf dem alten Viehtrift im Auerbergtal verunglückte, bis zum 15-jährigen, der im Dezember 1994 beim Einholen der Ziegen im Kirchbergtal im vereisten Hang abstürzte.

Sonntag. Wir gönnen uns einen Ruhetag und pilgern den Höfeweg von St. Gertraud nach St. Nikolaus und auf der anderen Talseite wieder zurück. Ja, auch die Urlärchen schauen wir uns an, es ist wenig los am Morgen, nur ab und an schnauft ein Läufer an uns vorbei, Vorbote des Höfelaufs am kommenden Sonntag.

In St. Nikolaus kehren wir im Gasthaus Messner ein und gehen anschließend wenige Schritte die Dorfstraße hoch zum Talmuseum. Es hat sich gelohnt! Der Kustos kommt gerade an und schließt auf (es ist das alte Schulhaus mit der Lehrerwohnung). Neben den zu erwartenden Gebrauchs- und Kulturgegenständen gibt es da ein paar richtige Glanzlichter.

Weltmaschine
Zum Ersten eine der verrücktesten Maschinen, die ich je gesehen habe, erdacht und gebaut von einem armen Tagelöhner aus dem Ultental, der sie auf Jahrmärkten zeigte: Etwas zwischen Spieluhr, Leierkasten und Glockenspiel. Da geht es Holterdipolter vom Kinderspielplatz zur Wirtshausschlägerei, vom Web- zum Schaukelstuhl, das ganze untermalt mit Musik vom Hammerklavier; alles aus Holz geschnitzt und angetrieben über eine einzige Kurbel.

Tweety in Not
Auch im Urlaub lese ich ganz gerne Zeitung, aber weniger, um auf dem Laufenden zu bleiben, was die Politik und andere Katastrophen betrifft, sondern um ein wenig Lokalkolorit zu sammeln, die kleinen Geschichten, wie sie nur der Alltag schreibt.
So wurde ich diesmal in der Dolomiten Zeitung (4. und 5. August) fündig: In Bruneck hat ein frecher Bussard eine Öko-Nische entdeckt. Am 4. war er beim Versuch, einen Kanarienvogel aus der Küche eines Hauses in der Peter Anich-Siedlung zu rauben, von der Hausfrau vertrieben worden. Jedoch war es ihm – wie eine Leserin mitteilte – ein paar Tage vorher gelungen, einen auf einem Balkon gehaltenen Stieglitz aus seinem Käfig zu zerren.

Nachdem wir unsere Begeisterung geäußert hatten und auch sonst mit ihm angeregt ins Gespräch gekommen waren (bei der Vitrine mit den Schulsachen wollte er mir erst nicht abnehmen, dass ich in meinem Leben schon den Weg von der Schiefertafel zum keyboard zurückgelegt habe; erst als ich aus meiner Volksschulzeit erzählte, dass wir als Kinder immer auf die »Bessergestellten« mit ihren nicht kratzenden Milchgriffeln (nein, nicht Milchschnitten!) neidisch waren, schien er mir zu glauben), lockte der Kustos noch mit der Frage, ob wir uns denn nicht auch noch den Keller anschauen wollten. Neugierig geworden folgten wir und standen bald vor einem kompletten E-Werk, gebaut um 1920 (von seinem Großvater). Es versorgte bis in die 50-er Jahre das Dorf mit Strom und funktioniert noch heute, wenn auch nicht mehr mit einer Wasserturbine (ja, kein idyllisch klapperndes Mühlrad, eine richtige Pelton-Turbine!), sondern mit einer Handkurbel. Die technischen Lösungen, die hier von einem »Dörfler« in Handarbeit ertüftelt wurden (Funkenschutz der Gleichstrom-Maschine, selbsttätige Schmierung der Lager…) verdienen Hochachtung; da beschleicht einen doch der Verdacht, dass die Wirtschaft den händeringend gesuchten Ingenieur-Nachwuchs in den Gymnasien am falschen Ort vermutet (meine Tochter bedient mit einer affenartigen Gewandtheit ihr High-Tech-Handy, weiß aber nicht, wie sie einen Platten an ihrem Fahrrad repariert, mea culpa).

Wetterkreuz an der Tufer AlmFreitag, 5. August 2005: Tufer Alm. Am Himmel zeigen sich nichts als der Kondensstreifen eines Flugzeuges und ein strahlend weißer Ballon, der mit dem Nordföhn über die Alpen treibt. Ein schöner Weg (Nr. 12) mit Ausblick auf Weißbrunnsee führt durch Wald in ein herrliches Hochtal mit einem Bilderbuch-Bach und einem weithin sichtbaren Wetterkreuz.

Hier gefällt es uns so gut, dass wir einen Teil des Vormittags mit Schauen, Lesen, Fotografieren und – Nichtstun verbringen.

Danach geht es in einer Hangquerung durch schönen Lärchenwald zur hinteren Flatschbergalm und zurück über Stein nach St. Gertraud.

Die Gipfelkreuz-Einweihung

Im AVS-Schaukasten am Gemischtwarenladen hing eine Einladung zur Gipfelkreuz-Einweihung auf dem Gleck (2957 m, ohne Kreuz) am Sonntag mit Bergmesse. Da der Wetterbericht (ausnahmsweise in diesem Urlaub) nichts Gutes verhieß und die Messe schon um 11 Uhr beginnen sollte, mochte Ursula nicht mitkommen. Als braver Ehemann verspreche ich, mich zu beeilen und die Minuten zu zählen. Also, los geht’s:

Bergmesse am Gleck6:00 Uhr. Ich greife meinen am Vorabend gepackten Rucksack, verabschiede mich und verlasse das Zimmer. David Schwienbacher ist schon in der Küche zugange; so komme ich noch zu meinem Start-caffè6:05 Uhr. Ich trete vor die Tür und wäre am liebsten wieder umgedreht und ins Bett: Es ist noch ziemlich duster, der Himmel grau in grau. Also dem inneren Schweinehund einen Tritt geben und selbigen fassen, zum Kirchhügel und am Waal entlang ins Kirchbergtal. 6:30 Uhr. Dort begegne ich dem ersten Trüppchen Wanderer, die wohl dem gleichen Ziel zustreben. 7:00 Uhr. Ich passiere die Kirchbergalm, geschäftiges Treiben im Kuhstall. 8:00 Uhr. Auf der nächsten Talstufe, in Höhe der Larcher-Hütten lege ich eine Frühstückspause ein, wer weiß, wie lange es trocken bleibt. 8:30 Uhr. Als ich an der Bärhapp-Alm vorbei komme (hier endet die geschotterte Almstraße), macht sich auch gerade der Hirt mit seinem Hund auf den Weg. Ich bleibe ein bisschen in der Nähe, weil es immer nebliger wird. 8:45 Uhr. Ich passiere die breite Mulde des Kirchbergjochs (2449 m; auch Rabbi-Pass oder Haselgruber Joch genannt), bin also jetzt im Trentino. 8:50 Uhr. Die Haselgruber Hütte (Rif. Stella Alpina al Lago Corvo) taucht aus dem Dunst auf. Aus der Hütte und aus dem Rabbi-Tal kommen weitere Wanderer. Ich fülle am Brunnen meine Wasserflasche und mache Pause. Aussicht von der natürlichen Terrasse über dem Rabbi-Tal, auf der die Hütte liegt, leider bescheiden. Noch eine gute Stunde bis zum Gleck. 9:10 Uhr. Weiter geht’s. Am ersten Wegweiser (nagelneu, mit Logo des Naturparks Stilfserjoch) gleich ein Schreck (reimt sich auf Gleck): Zeitangabe jetzt 1:50 Stunde. Das würde knapp. Wie sich herausstellt, ist das seeehr großzügig bemessen, ganz im Gegensatz zu meinen Erfahrungen mit CAI-Wegweisern. Gleich am ersten See ist die Markierung etwas undeutlich und ich mache einen kleinen Schlenker um einen Hubbel herum.

Abstieg vom Gleck
Aber bald gehe ich wieder hinter meinem Hirten und anderen Wanderern her. Der Weg schlängelt sich zwischen den größeren und kleineren Seen (ungefähr ein Dutzend zähle ich) hindurch und überwindet dabei mehrere Rücken. Er ist nicht schwierig, müsste aber an einigen Stellen, wo er durch Geröll verschüttet ist, mal wieder trassiert werden; die Umgehung ist meist diretissima, reißt den Hang auf und ist bei Nässe daher schmierig. Sicht leider praktisch Null. 10:20 Uhr. Als ich um eine Ecke biege, taucht vor mir schemenhaft im Nebel das Kreuz auf. Der Weg läuft praktisch fast am Gipfel vorbei.  Er teilt sich allerdings hier in mehrere Spuren auf, weil der eigentliche Gipfel (mit Steinmann) vom Hubbel mit dem Gipfelkreuz durch einen breiten, gerölligen Grat getrennt ist. Jetzt treffen wir auch die Wanderer aus dem Weißbrunn-Tal, viele Familien. Überall Begrüßung, Wäschewechsel, große Frühstücksplatten werden  ausgepackt.

11:00 Uhr. Die Messe beginnt. 11:10 Uhr. Die versammelte Gemeinde neigt die Häupter – allerdings weniger wegen des Segens, den Pfarrer Schwienbacher (scheint hier der »Tal-Clan« zu sein) erteilt, als wegen des Segens, der von oben kommt: Der Nebel konkretisiert sich zu einem Hagelschauer, alles zerrt die Regenbekleidung aus dem Rucksack und vermummt sich. Der Gottesdienst am improvisierten, blumengeschmückten Altar (mit Musikbegleitung – Tuba und Trompete) bekommt dadurch etwas Verschworenes. 12:00 Uhr. Die Messe ist zu Ende, die erschienenen Offiziellen sprechen Dank- und Grußworte. Das Wetter bessert sich vorübergehend; sogar die Sonne blinzelt mal durch den Nebel. Der AVS-Gesandte stimmt »Fliege hoch, Tiroler Adler« an (alle Strophen). Die amici italiani aus dem Rabbi-Tal verabschieden sich diskret.

Steinmann über dem Kirchbergtal13:20 Uhr. Ich bin wieder an der Haselgruber Hütte. Erneut Wasser fassen am Brunnen und Steinchen aus den Schuhen schütteln. Aus der Hütte ertönt live alpenländische Stimmungsmusik. Nicht ganz mein Fall, also ohne Einkehr weiter, Richtung Kirchbergjoch. 14:00 Uhr. Inzwischen regnet es. Zwei Transalp-Radler, die ihr Rad lieben (schieben), fragen, ob das Wetter auf der anderen Seite besser ist, aber da muss ich sie enttäuschen, wir sind ja hier nicht in den Hohen Tauern. Mit den Kühen trotte ich Richtung Bärhapp-Alm. 14:40 Uhr. An der Kirchbergalm gönne ich mir eine kleine Stärkung und schüttele die Regensachen aus. 15:00 Uhr. Petrus zeigt was er kann, jetzt schüttet es wie aus Kübeln. Ich wollte eigentlich nicht an einem Härtetest für Goretex-Bekleidung teilnehmen. Langsam schleicht sich auch Feuchtigkeit in meine ansonsten »perfekten« Bergstiefel eines bayerischen Herstellers; mache mir eine Gedankennotiz, dass ich die Nähte mal wieder abdichten muss. Ich lege einen Zahn zu, hüpfe ins Tal. 16:10 Uhr. Ich bin im Hotel. Eine Beerdigungs-Gesellschaft mustert mich so mitleidig von den Kaffee-Tischen aus, als wäre es schon meine… Ein Gast zitiert grinsend den Spruch von der Nichtexistenz schlechten Wetters in Gegenwart passender Bekleidung, den er den Deutschen zuschreibt. 16:15 Uhr. Eine ebenfalls mitleidig guckende Ehefrau und eine – diesmal wohlig warme – Dusche nehmen mich im Empfang.

(Eine etwas weniger persönlich gefärbte Darstellung gibt es als Zeitungsartikel aus der Dolomiten Rundschau [PDF]).

Fazit

»Das Ultental kann man nicht besuchen; wir müssen es aufsuchen und verweilen ­ mindestens zwei Wochen lang«. Sepp Schnürer.

Makabres Marterl am Wegesrand


Ursula (Bilder) und Michael (Text, Bilder), Juli/August 2005


Praktische Hinweise

  • Anreise und Verbindungen vor Ort: Diesmal wählten wir eine eher ungewöhnliche Anreisestrecke, die aber bequemer und billiger war, als die Brenner-Route: Mit dem Nachtzug der Bahn von Düsseldorf nach Mailand im komfortablen 2er-Abteil mit eigener Dusche und WC (89 Euro p.P. bei frühzeitiger Buchung). In Mailand wurden gerade die riesigen Fluchten mit den Fahrkartenschaltern großenteils geschlossen; der Verkauf erfolgt per Automat (Euroscheckkarte).
    Weiter mit Intercity bis Bozen (mit Umsteigen in Verona Porta Nuova am gleichen Bahnsteig. Dann Regionalzug Bozen – Meran (21,50 Euro p.P.). Schließlich mit dem Bus der SAD von Meran Bahnhof (günstiger: Untermais Bf.) über Lana nach St. Gertraud im Ultental (mit Wertkarte 3,08 Euro p.P.). Rückfahrt: Regionalzug Meran (den Bus aus dem Ultental schon in Untermais Bf. verlassen, dann bekommt man einen Zug früher) – Bozen (Einzelfahrkarte 1,70 Euro p.P.)
    Fährt man in Südtirol häufiger mit dem Bus oder der Regionalbahn (max. bis Innsbruck oder Trient), ist der Kauf einer Wertkarte (5, 10 oder 25 Euro) empfehlenswert. Bei Fahrten (auch für mehrere Personen) wird einfach vom Guthaben abgebucht, wobei eine Tagesgebühr (65 Cent) und eine Kilometergebühr (6,5 Cent) erhoben wird.
    Fahrpläne:
    – Fahrplanheft Burggrafenamt (z. B. in Meran am Bahnhof erhältlich oder als PDF-Datei).
    – Fahrplanauszüge gibt es auch in der Broschüre »Urlaubsberater« vom Fremdenverkehrsamt Ultental-Deutschnonsberg.
  • Unterkunft: St. Gertraud liegt im Talschluss. Es gibt zwei Hotels, mehrere Frühstückspensionen bzw. Ferienwohnungen, ein Gasthaus (Edelweiß; leider nicht mehr mit Zimmern – wie vor dreißig Jahren -, aber mit guter Küche), einen Gemischtwarenladen, Post, Bushaltestelle (Endstation der Linie aus Meran). Nach Lehr- und Wanderjahren betreibt der Koch David Schwienbacher seit einem Jahr das Hotel Arnstein, am Kirchhügel von St. Gertraud. Wir haben uns da sehr wohl gefühlt. Trotz des hohen Standards (große, liebevoll eingerichtete Zimmer mit soliden Betten, 5-Gang-Menü, blitzsauber), den Bergsteiger – aus welchen Gründen auch immer – oft meiden, war es sehr familiär (nur 9 Zimmer). Herausragend ist das Essen (Salatbuffet und 5 Gänge), man muss einfach am nächsten Tag auf die Berge. Und wer zwischendurch mal Entzugserscheinungen bezüglich »Bergsteigeressen« hat, kann auch problemlos einen Teller Nudeln Bolognaise bekommen.
    Wer den Ultner Höhenweg (Nr. 12) oder – auf der Trientiner Seite – den Bonacossa-Weg (Nr. 133 – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Dolomiten-Weg, siehe Tipp Nr. 17) komplett gehen möchte, ohne ins Tal abzusteigen, muss versuchen, auf Almen unterzukommen. Daher hier eine Aufstellung, welche Almen ggf. ein Quartier bieten (Quelle: Urlaubsberater 2005, Broschüre des Fremdenverkehrsamtes Ultental-Deutschnonsberg): Ausserfalkomai Alm (2.169 m; Mitte Juni bis Mitte September; Matratzenlager), Ausser Pilsberg (2.134 m; 20. Juni bis Mitte September; Übernachtung mit Schlafsack möglich, auf Anfrage), Fiechtalm (2.037 m; 15. Mai bis 15. November; Übernachtung mit Schlafsack), Innere Alplahner Alm (2.241 m; Anfang Juli bis Mitte September; Hirt fragen), Pichl Alm (1.978 m; Mitte Juni bis Mitte September; Übernachtung mit Schlafsack möglich), Riemerbergl (2.051 m; Mitte Juni bis Mitte Oktober; Übernachtung mit Schlafsack möglich), Seefeld Alm (Kirchberg; 2.250 m; Anfang August bis Ende August; notfalls Übernachtungsmöglichkeit, auf Anfrage), Seegruben Alm (1.917 m; 20 Juni bis 10. Oktober; für 4 Personen Übernachtungsmöglichkeit mit Schlafsack, auf Anfrage), Steinbergl Alm (2.035 m; 20. Juni bis 15. September; evtl. Übernachtungsmöglichkeit, auf Anfrage), Stafler Alm (1.885 m; Mitte Juni bis Mitte Oktober; Übernachtung mit Schlafsack möglich, auf Anfrage), Tufer Alm (2.103 m; ca. 20. Juni bis Mitte September; notfalls Übernachtung möglich, auf Anfrage). Weitere Informationen.