Vogelbauer vor einem Geschäft in der Calle Real in San Sebastián
»Just the place to bury a crock of gold« said Sebastian. »I should like to bury something precious in every place where I’ve been happy and then, when I was old and ugly and miserable, I could come back and dig it up and remember.«
»Genau der richtige Platz, um einen kleinen Schatz zu verbuddeln«, sagte Sebastian. »Ich möchte etwas Wertvolles an jedem Ort vergraben, wo ich glücklich war und dann, wenn ich alt und hässlich und schlechtgelaunt bin, könnte ich zurückkommen und es ausgraben und mich erinnern.«
Evelyn Waugh, Brideshead Revisited
Bei meinem zweiten Arbeitgeber war Urlaubsplanung Glückssache. Wenn ein EDV-Projekt sich mal wieder zum Ende hin wie Gummi zog, vergingen die Tage und oft auch die halben Nächte des Sommers draußen vor den Türen des klimatisierten Rechenzentrums wie im Zeitraffer. Das wird jedem in diesem Metier Tätigen vertraut sein, und das hat sich trotz aller raffinierten Vorgehensmodelle und hochentwickelten Werkzeugen bis heute nicht wesentlich geändert; ob man sich jetzt Organisationsprogrammierer nennt oder DevOps. Das war auch 1984 mal wieder so. Als die Abnahme des Projektes endlich erklärt wurde, war es mittlerweile Oktober – und an Touren in Skandinavien oder den Alpen, damals unsere bevorzugten Spielwiesen, war nicht mehr zu denken.
Abends nach der Arbeit brachte Ursula ein kleines Buch mit, ein Geheimtipp der Buchhändlerin auf der Düsseldorfer Nordstraße: Die »unbekannten« Kanarischen Inseln: La Palma, La Gomera und El Hierro. Es handelte sich um einen Reise- und Wanderführer wie er damals in der Rucksack-Szene üblich war: Ein vom maschinengetippten Manuskript gedrucktes, mit winzigen, qualitativ grauenhaften Schwarz-Weiß-Fotos und unbeholfenen Zeichnungen versehenes Taschenbuch. Aber er enthielt Informationen aus erster Hand: die Autoren waren mittlerweile nach La Gomera übergesiedelt und hatten Wege markiert. Dazu besorgten wir uns noch mangels verfügbarer Wanderkarten spanische Militärkarten der Inseln. (Das hört sich für die Generation, die mit Internet und Euro groß geworden ist, einfach an, war aber ein Abenteuer für sich: Eine Freundin übersetzte den Brief an den »Servício Geográfico del Ejército« in Madrid, das Formular »Zahlungsauftrag im Außenwirtschaftsverkehr« beschäftigte zwei Mitarbeiter meiner Sparkassen-Zweigstelle eine ganze Weile, und als die Karten endlich in einer großen Papprolle eingetroffen waren, musste ich sie in Essen beim Zoll auslösen.)
Die Flug- und Fährkarten wurden bei einem Düsseldorfer Reisebüro gebucht; um einen günstigen Flug zu bekommen (»Billigflieger« gab es damals noch nicht), wurde der beliebte Trick angewendet, auf einen Charterflug mit Hotel (in dem man selbstredend nicht erwartet wurde) zu buchen.
Planung und Anreise
25 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich viel ändert, und man sich selbst natürlich auch. Jugendliche Unbekümmertheit und Genügsamkeit weicht leise Planungssicherheit und (mäßigem) Konfortbedürfnis.
Hatten wir damals drei Inseln vor uns, wollten wir uns jetzt auf La Gomera beschränken. Obwohl dort mittlerweile ein Flughafen existiert, erfolgt die internationale Anreise aber immer noch wie damals per Flieger nach Teneriffa Süd und Fähre nach San Sebastián.
(Die Insel La Palma erreichten wir damals von La Gomera aus ebenfalls mit der Fähre, von dort nach El Hierro ging es aber mit einem alten Propeller-Maschinchen, einem Art 2CV der Lüfte mit ausgeleierten Segeltuchsitzen, vom damals funkelnagelneuen Flughafen der Inselhauptstadt Santa Cruz ab. Die reizende Stewardess verteilte aus einem Körbchen Bonbons zur Erfrischung.)
Ich will hier jedoch nicht unsere damalige Tour schildern (vielleicht wie schon geschehen ein paar Vergleiche ziehen), sondern mich auf La Gomera konzentrieren.
Also ein bisschen Planung und Komfort sollte sein, aber mit einer Gruppe wollten wir nicht laufen. Also entschieden wir uns für eine einwöchige »individuelle Wanderreise« von »Wikinger Reisen«, mit denen wir schon ein paarmal unterwegs gewesen waren und die auch heute noch so angeboten wird. Als Reisezeit hatten wir Ende Oktober gewählt, da ich mich damals an die, den Schulferien angelehnten, unterrichtsfreien Zeiten halten musste. (Überraschenderweise stellte sich nach meiner Rückkehr heraus, dass ein Kollege zur gleichen Zeit auf der Insel war, allerdings im Parador in San Sebastían, dessen Garten übrigens einen Spaziergang lohnt. Wenn mit unserem Flieger etwas passiert wäre, hätte der Fachbereich auf einen Schlag ein Fünftel seines Personals verloren.)
Übersicht der Wanderungen (Quelle: wikinger.de)
Wir hatten es schon bedauert, im Vorfeld unsere Spanisch-Kenntnisse nicht aufgefrischt zu haben, aber das relativierte sich. Wir haben nämlich herausgefunden, dass man von den Einheimischen ganz gut verstanden wird, wenn man Italienisch parliert – nur etwas härter ausgesprochen. Bei den meisten uns begegnenden Wanderern kamen wir als Niederrheiner mit ein paar Brocken Niederländisch ganz gut zurecht.
Der Fähranleger in San Sebastián kam uns noch bekannt vor, so viel hatte sich wohl nicht getan.
Wenn sich auch das Wander-Outfit seit damals etwas gewandelt hat.
Wir sind dann zu Fuß zum Hotel gegangen und haben doch gemerkt, dass die touristische Infrastruktur (bescheiden) gewachsen ist. Cafés und Supermärkte statt offene Läden hinter Wellblechrollos, auch wenn jetzt im Oktober noch ein überlebender Osterhase grüßte. Wir machten noch einen ausgedehnten Spaziergang und entdeckten Dinge, die wir bei unserem ersten Aufenthalt übersehen hatten (z. B. am Hafen ein Denkmal für den Fackellauf zu den olympischen Spielen 1968 in Mexiko, der hier vorbeiführte).
Am ersten Wandertag fuhren wir mit dem Bus über die inzwischen großzügig ausgebaute Straße nach Imada und wanderten durch ein schönes Tal hinab ans Meer nach Playa de Santiago (PR LG 15). Die letzten paar Kilometer ging es allerdings an einer Straße entlang, an der ständig Baufahrzeuge an uns vorbeidonnerten.
Die Gehzeiten der vorgeschlagenen Wanderungen sind übrigens moderat und steigern sich mit den Tagen ein bisschen. Charakteristisch für die nur ca. 25 Kilometer durchmessende Insel ist ja, dass sie wie ein Rad mit Nabe, dem zentralen Vulkanschild, aufgebaut ist (https://www.gomeravive.com/de/wissen/geologie/). Alles verläuft radial: Höhenzüge, Täler, Straßen, Gemeindegrenzen. Und was auf der Karte nach »Hinspucken« aussieht, wird dann doch eine Tageswanderung mit kräftigen Auf- und Abstiegen. Da ist es ganz angenehm, dass man seinen Hausstand nicht die ganze Zeit auf dem Rücken mitschleppen muss, sondern sich auf einen tagesrucksack beschränken kann.
Über die Busverbindungen kann man nicht meckern, auch wenn für einige Ausgangspunkte der Veranstalter zum Transfer Taxis organisiert hat. Angenehm ist auf jeden Fall, dass man sich nicht abends noch nach einer Unterkunft umschauen muss – auch wenn nicht alle Planungen perfekt waren: In Hermigua lag die Unterkunft im oberen, dünn besiedleten Ortsteil, das vorgesehene, fußläufig erreichbare Restaurant war geschlossen und es dunkelte schon. Da Ursula ohne Abendessen ungenießbar ist, fragte ich die Dame an der Rezeption um Rat. Die eilte sofort auf die Straße und hielt ein Auto an, dessen Fahrer sie kannte und bat ihn, uns Richtung Playa mitzunehmen, wo es noch ein Restaurant gab. Es wurde ein gelungener Abend, nicht zuletzt, weil an unserem Tisch zwei Damen (mit Auto) saßen, die auch in unserem Hotel wohnten…
Am nächsten Tag stand der zentrale Teil der Insel mit Garajonay und Fortaleza auf dem Programm, der Weg trägt dann auch eine GR-Nummer (131). Ein Taxi-Transfer brachte uns nach Igualero, wo in der Nähe der Kirche mittlerweile das »Silbo«-Denkmal (UNESCO-Weltkulturerbe 2009) steht. Übernachtung in Chipude, wo vor dem Hotel ein Platz mit EU-Mitteln großzügig gepflastert worden war, groß wie ein Fußballfeld und auch von der Dorfjugend so genutzt.
Dank der besseren Kennzeichnung war man jetzt viel entspannter beim Wegesuchen:
Am vierten Tag schließlich ein weiterer »Klassiker«: Ins Valle Gran Rey. Den vorgeschlagenen Weg (PR LG 13 und GR 132) kannten wir noch nicht, er ist als Höhenweg entlang des Barranco de La Matanza und des Barranco de Argaga aber augesprochen ausdrucksvoll angelegt.
Das Tal hat sich im oberen Teil bei La Caleta seither wenig geändert, aber der Strand ist mittlerweile zugebaut.
Wo man damals auf einer Terrasse unter Strohmatten sitzen und sich an Schrumpelkartoffeln mit Mojo-Soße gütlich tun konnte, gibt es heute Pommes mit Mayo. Wir haben übrigens rasch gelernt, dass man tunlichst keine Menüfolge bestellt, weil gefühlt nach fünf Bissen der Vorspeise schon das Hauptgericht auf dem Tisch steht.
Nach einem Transfer zurück nach Chipude geht es dann auf dem vielleicht beeindruckensten Weg (GR 131) über das Dach der Insel und durch den Nationalpark nach Vallehermoso. Dort übernachteten wir im Landhotel Tamahuche, einem sehr interessant mit Innenhöfen, Terrassen und Gärten angelegten Gebäude, das aus mehreren Bauteilen besteht. Das Haupthaus ist an den Felsen gebaut und hat im Speisesaal zwei »Gucklöcher« auf die dahinterliegende Felswand, die wie ein Relief wirken. Erinnern kann ich mich noch an die sehr gut ausgestattete Bibliothek und dass der »Landgeruch« der Rezeptionistin wohl peinlich war, denn sie brachte uns einen Zweig Aloe Vera auf’s Zimmer.
Von dort geht es am nächsten Tag über den GR 131 zum Lorbeerwald mit dem Besucherzentrum und weiter zur Nordküste nach Agulo. Zu einem »running gag« wurde dabei die mehrfache Begegnung mit einer Wandergruppe. Anscheinend gingen wir immer entgegen der empfohlenen Richtung.
Am letzten Tag war nochmal eine Wanderung im Lorbeerwald, mit Taxi-Transfer und Abstieg über eine steile Felswand nach Hermigua vorgesehen. Wir haben uns die Freiheit genommen, mit dem Bus von Agulo nach Hermigua zu fahren.
Insgesamt eine sehr entspannte Reise, und wir haben festgestellt, dass sich die »Neuerungen« sehr moderat (mit ein paar Auswüchsen hier und da, wie das immer so ist) gestalten und hoffen, dass die Insel für Menschen, die diese einzigartige Natur zu Fuß erleben möchten, noch lange ein das Wiederkommen lohnendes Reiseziel bleibt.
Michael (Text) und Ursula (Fotos), Dezember 2009
Praktische Hinweise:
- Führer:
- Izabella Gawin, Insel Gomera. Reise-Know-How Verlag 2009
- Ursula und Adam Reifenberger, Das Kanarische Wanderbuch: auf den Spuren der Guanchen durch La Gomera, El Hierro und La Palma. SYRO Individualreiseführer Bd. 34. Syro-Verlagsbuchhandlung 1983
- Einen Überblick bietet Rüdiger Steuer auf seiner Website.
- Karten:
- Übersichtskarte: Mapa Turístico (mit Ortsplänen).
- Wanderkarte: Mapa de senderos de La Gomera.
Beide vom »Patronato Insular de Turismo de La Gomera« - Detailkarte Parque nacional de Garajonay (http://www.gobiernodecanarias.org/parquesnacionalesdecanarias/de/Garajonay/)
- Tourismus: http://lagomera.travel/de/
- Transport:
- Übersicht: http://lagomera.travel/transporte-publico/
- Busfahrpläne: https://www.guaguagomera.com/publico/contenido/lineas
- Zusammenstellung gedruckter Fahrpläne: fahrplan_gomera