»Richtige Berge«, so bekräftigte Giacomo, der Hüttenwirt auf »Maria e Franco«, unsere Eindrücke, als wir mit ihm und seiner Frau als einzige abendliche Gäste zusammensaßen. Und in der Tat, da wir in den letzten Jahren die Dolomiten durchstreift hatten, war der Unterschied für uns augenfällig: Dunkler, einsamer, ernster. Berge und Täler erinnerten uns an Urlaube in Lappland und Norwegen…

Die Vorgeschichte

Unseren letzten Sommerurlaub hatten wir in Trient (Trento) beendet. Dort gibt es in einer Straße hinter dem Dom eine kleine Buchhandlung, vollgestopft mit Landkarten und Reiseführern. Unter anderem fiel uns ein handlicher Führer des CAI Brescia mit schönen Farbfotos ins Auge, betitelt »I trekking bresciani«. Beschrieben wird u. a. die »Alta via dell’Adamello«, auch als Alta Via Nr. 1 bezeichnet. Und da wir wunderschöne zwei Wochen Dolomitenhöhenweg 1 hinter uns hatten, wurden wir neugierig.

Die Vorbereitungen

Im Winter besorgten wir uns weitere Informationen und Karten. Für den Höhenweg werden üblicherweise 5 Etappen angesetzt. Für Eingewöhnung, Schlechtwetter, Abstecher (z. B. Gipfeltouren) und den traditionellen Städtebummel zum Abschluss hatten wir also genug Reserven. Sollte das Wetter gar nicht mitspielen (der Weg verläuft durchweg um 2500 m, Pässe bis 2800 m), wollten wir zum Iseo-See) ausweichen.

Der Adamello-WegDie Anreise

Der Höhenweg wird üblicherweise von Süd nach Nord begangen (also auf die Gletscher zu) und so wollten wir es auch machen. Also mussten wir zum Rifugio Tita Secchi (gesprochen: Secki), wo der Weg an einer Gedenktafel beginnt. Dorthin gelangten wir von Mailand mit der Eisenbahn über Brescia nach Breno im Val Camonica und von dort mit dem Taxi nach Bazena an der SS 345, die nach Bagolino am Idro-See führt. (Busverbindungen zum Passo Croce Domini gibt es keine, weder aus dem Val Camonica noch vom Idro-See her.)

Die Wanderungen

Vom Parkplatz vor dem Rifugio Tassara führt ein guter Saumpfad (»Mulattiera« – sehr viele Wege hier stammen aus dem 1. Weltkrieg) durch Almengebiet zum Rifugio Tita Secchi am (gestauten) Lago della Vacca.

  • Das Adamello-Gebiet ist (wie das der Bergamasker oder Orobischen Alpen auf der anderen Seite des Val Camonica) sehr wichtig für die Wasser- und Elektrizitätsversorgung Oberitaliens. In den 1920er und 1950er Jahren entstanden viele Stauseen, die teilweise untereinander verbunden sind. Der größte ist der Lago di Malga Bissina im Val Daone mit 561 m Länge.

In dieser Hütte wollten wir zunächst bleiben, um uns zu akklimatisieren. Die Hütte stammt aus dem Jahr 1994 und ist noch nicht auf allen Karten verzeichnet. Das wenige Meter unterhalb stehende Rifugio Gabriele Rosa ist seit einigen Jahren geschlossen und wird wohl auch nicht mehr geöffnet – dort wohnt heute der Staudammwärter.
Die ersten Erkundungsgänge führten uns ein Stück weit auf dem »Einser« bis zum Passo di Blumone und auf einer Variante des »Sentiero Monsignore Giovanni Antonioli« auf den Höhen um den See zu verfallenen Befestigungswerken aus dem »Guerra Bianca« 1915 – 1918. Dieser Weg – dem wir noch öfter begegneten – trägt auch den schönen Beinamen »Sentiero delle chiesette alpine« (Weg der alpinen Kirchlein) und führt in einer Woche von Capo di Ponte im Val Camonica nach Limone di Garda. Im Gegensatz zu der üblichen rot-weißen Markierung des CAI ist er gelb-weiß gekennzeichnet, was einen Katholiken an eine Fronleichnamsprozession erinnert – allerdings wandert man nicht (nur) über Blumenteppiche, sondern hat teilweise hochalpine Übergänge zu bewältigen.

Übrigens sind die Markierungen durchweg gut, überall findet man neue (rostfreie) Wegweiser; in Blockfeldern (davon gibt es reichlich!) oder Schotterhalden muss man schon mal etwas suchen.

Hier finden wir überall den typischen »Pfeffer und Salz«-Granit des Adamello-Stocks, Tonalit genannt. Stellenweise auch Dolomit-Felsen, wie z. B. die Corna Bianca, wo dann plötzlich die Blumenarten wechseln. (Nach den Geologen handelt sich um »standhafte« Brenta-Felsen, die die Verschiebung nach Norden nicht mitgemacht haben.) Typisch für das Gebiet sind auch Anhäufungen von Granitblöcken (bis Hausgröße), deren Überquerung für Menschen mit etwas kürzeren Beinen manchmal nicht einfach ist.

Am zweiten Tag hielten uns Regen und Nebel in der Umgebung der Hütte fest, so dass aus der geplanten Besteigung des Cornone di Blumone (I, es geht auch mit Hund) leider nichts wurde.

Da das Wetter am nächsten Morgen immer noch trübe war, beschlossen wir, nicht den Originalweg weiterzugehen, sondern zunächst ins Tal abzusteigen. Wettervorhersagen, wie wir sie von den Dolomiten kennen und die es im Prinzip auch gibt, hingen auf keiner Hütte aus. Das Wetter ist hier wohl sehr unberechenbar (und wir hatten natürlich einen »schlechten Sommer« erwischt). Ein italienischer Wanderer erzählte uns dazu eine schöne Anekdote: Einmal befragte er einen Schäfer, ob es wohl Regen geben werde und der meinte »nein« – wenige Minuten später waren sie nass.

Wir entschieden uns für den Antonioli-Weg (Nr. 38) und landeten im idyllischen Talschluss des Val Paghera in einem für den »Agriturismo« umgebauten Bauernhaus. Pierino, der Besitzer, bewirtete uns mit selbst gemachtem Rotwein, Grappa und Käse (von dem er uns nach unserem Lob kurzerhand noch ein gutes Stück als Wegzehrung einpackte) und abends kamen die Bewohner des Weilers zu Schwatz und Kartenspiel. Am nächsten Tag stiegen wir bei herrlichem Wetter auf dem Weg Nr. 37 zum Rifugio »Maria e Franco« auf, um wieder Anschluss an den Höhenweg zu bekommen.

Beim abendlichen Plausch über Woher und Wohin informierte uns dann die Wirtin, dass die Hütten ab Prudenzini am kommenden Wochenende durch das jährliche Alpini-Treffen am Adamello voll seien. Sie bot an, für uns wegen einer Reservierung zu telefonieren. Da wir jedoch nicht in Eile waren, entschieden wir uns für einen weiteren »Schlenker«. Als Anregung zeichnete uns der Hüttenwirt in die Karte des »Alta Via«-Faltblattes mit farbigen Stiften sämtliche Möglichkeiten für Rundwege ein.

Am nächsten Morgen war es sonnig mit einer herrlichen Fernsicht auf Adamello und Ortler und wir wanderten den »Einser« bis zum Passo di Campo (Vorsicht, Radler!), ohne jemandem zu begegnen. Dort stiegen wir in das Val Daone/Val di Fumo ab, in dem der große Bissina-Stausee liegt. Unterkunft fanden wir bei einem anderen Pierino, der an der Fahrstraße talabwärts ein Restaurant betreibt. Als Gästehaus dient die ehemalige Kantine, in der Pierino für die Staudamm-Arbeiter kochte. Im Restaurant ist eine Foto-Dokumentation zum Dammbau, der von 1950 – 1958 dauerte, zu sehen.

Da wir nicht den gleichen Weg wieder aufsteigen wollten, nahmen wir von der Unterkunft den »Sentiero Lodigiano«, der – an den Resten der Baustellen-Siedlung vorbei – zur »Piazzale del Diga« und weiter über den Parkplatz auf einem schönen Saumpfad zum Passo Ignaga führt; beim Aufstieg zum Pass wurden jedoch schon gegen elf Uhr von einem heftigen Gewitter überrascht und mussten in einer Schäferhütte Schutz suchen. Da es anschließend für den Weiterweg zur Lissone-Hütte zu spät war, stiegen wir wieder ins Val di Fumo ab und übernachteten im gleichnamigen Rifugio. Diese stattliche und komfortable Hütte liegt sehr schön im Talschluss (schon auf Trentiner Boden) und ist tagsüber ein beliebtes Ausflugsziel. Das Tal selbst mit seinem Bach (Torrente Chiese) und dem Bewuchs erinnerte uns stark an das schwedische Fjell.

Im BlockfeldDa die Zeit für den restlichen Höhenweg jetzt doch etwas knapp wurde, beschlossen wir mit Bedauern, wieder ein Stück Höhenweg auszulassen (es soll übrigens das Eindrucksvollste sein, seufz), und zur Hütte Città di Lissone auf dem direktem Weg 245 über den Passo Forcel Rosso zu gehen. Die gesamte Passhöhe wird den den Ruinen von Befestigungen aus dem 1. Weltkrieg eingenommen. Übrigens kommen hier wieder Dolomit-Felsen zum Vorschein, was schlagartig zu einer anderen Pflanzenwelt führt.

Die Hütte liegt schon zum Greifen nahe auf einer Talstufe (und einige Italiener, die gerade vom Klettersteig »Erminio Arosio« auf den Cornone di Grevo kamen, meinten: »quaranta minuti«) aber im ersten Teil ist der Abstieg eine üble Rutschpartie durch eine schotterige und erdige Rinne (zum Glück war’s trocken), so dass wir etwas länger benötigten. Der Klettersteig ist übrigens einer (soweit uns bekannt) von nur zweien im Adamello-Gebiet und wurde 1993 angelegt. Die Route ist sehr schön als Holzrelief an der neben der Hütte stehenden CAI-Capanna dargestellt.

Hier legten wir eine »Sonntagsruhe« ein und gingen an den nächsten beiden Tagen mit Aussicht auf das Adamello-Plateau weiter auf dem Höhenweg über das Rif. Prudenzini zum Rif. Gnutti. Die Bezeichnung »Höhenweg« müsste hier eigentlich hier durch »Berg- und Talweg« ersetzt werden, denn da der Weg dem Adamello-Massiv nach Westen ausweicht, quert er die Täler Adamé, Salarno und Miller respektive die trennenden Bergketten, was ordentlich in die Waden geht.

Während wir in der Sonne vor der Hütte saßen, unserer Wäsche beim Trocknen und den Arbeitern bei der Reparatur des Staudammes des (deswegen momentan nicht vorhandenen) Lago Miller zusahen, mussten wir für die verbleibenden zwei Tage eine Entscheidung treffen: Entweder die letzte Etappe bis zum Rif. Garibaldi zu gehen (satte Tagestour), dann nach Tému abzusteigen, zu übernachten und mit Bus (Tému – Edolo) und Zug nach Mailand zurückzukehren. Oder aber uns etwas Kultur zu gönnen, und die Steinzeichnungen (»Incisioni rupestri«) von Capo di Ponte zu besichtigen.

SteinritzungenWir entschieden uns für die Kultur und bereuten es nicht. Bei heissem, gewittrigem Wetter stiegen wir über die »Scale del Miller« ins Val Camunica ab. Unser Zimmer in einem einfachen Hotel an der Straße zwischen Rino und Sónico hatte die Hüttenwirtin uns schon telefonisch bestellt.

So trödelten wir zu Tal und machten am nächsten Tag einen Ausflug nach Capo di Ponte. Das Museum (in der Nähe der Kirche San Siro) und die Ritzzeichnungen selber geben einen faszinierenden Einblick in das Leben der Menschen in den Alpen in den letzten Jahrtausenden.

Viele Eindrücke könnten wir noch erwähnen, die Gastfreundlichkeit der Menschen, gutes Essen, ein Steinmetzbetrieb, der unsere »Traumgartenbank« aus dem heimischen Granit (leider nicht rucksackgeeignet) herstellt – mit einem Wort, Erinnerungen, von denen man bis zum nächsten Urlaub zehrt.


Ursula (Fotos) und Michael (Text), Juli/August 2000


Praktische Hinweise

Anreise:
Bei der Benutzung öffentlichen Verkehrsmittel (Bahn, Bus) in Italien ist zu beachten, dass Linien oft an der Provinz- bzw. Regionsgrenze enden bzw. eingeschränkt sind. Da das Adamello-Gebiet überwiegend in der Lombardei liegt (östlicher Rand im Trentino), empfiehlt sich eine Anreise über Mailand bzw. Bergamo/Brescia. Flug: Düsseldorf – Mailand (Malpensa): ca. 90 Minuten, Lufthansa 444 DM (Hin- und Rückflug); Malpensa – Stazione Ferrovia Nord (Malpensa Express, 40 Minuten, 15000 Lire), Stazione Ferrovia Nord – Stazione Centrale (Metro, 1500 Lire); Bahn: Düsseldorf – Mailand (Stazione Centrale), ca. 12 Stunden, 1x Schlafwagen/1x Tagfahrt 426 DM). Weiterfahrt mit Privatbahn über Brescia nach Breno: ca. 3 Stunden, 16000 Lire. Breno – Passo Croce Domini (Rifugio Bazena): zu Fuß (15 km, 1500 hm) oder Taxi (80000 Lire).
Nachtrag Juli 2006: Mittlerweile gibt es auch die Möglichkeit, mit dem »Billigflieger« nach Bergamo (Flughafen Orio al Serio) zu kommen. Von dort weiter mit direktem Bus ab Flughafen (Gesellschaft Autostradale) zum Bahnhof in Brescia. Dann mit der Privatbahn Ferrovia Nord (Brescia – Iseo – Edolo) bis Breno. Rückfahrt mit dem SAB-Bus von Ponte di Legno nach Edolo, dann wieder mit der Bahn nach Brescia und mit dem Bus zum Flughafen Bergamo.
Online-Auskunft für die Region Lombardei.

Führer:
CAI Brescia, I trekking bresciani, 1997, 30.000 Lire. Die Beschreibungen »Alta via dell’Adamello« und »Sentiero Antonioli« sind auch (von anderen Autoren) einzeln erhältlich (alle in Italienisch). Auf Wunsch kann ich gerne meine Roh-Übersetzung der Wegbeschreibung per E-Mail zusenden.
Der östliche Teil des Gebietes (nicht der Höhenweg selbst) wird beschrieben im Kompass-Wanderführer »Trentino II« von Veit Metzler.

Karten:
Übersichtskarte: Generalkarte Italien 2 (auch im Baedeker »Lombardei« enthalten)
Kerngebiet Adamello-Gruppe: Carta d’Italia, Foglio 058, Monte Adamello, 1:50000 (schönes Kartenbild)
Wanderkarten 1:50000: Kompass 71, Adamello-La Presanella, ggf. noch der südliche Anschluss, Kompass 103, Le Tre Valli Bresciani; mit den Kompass-üblichen Ungenauigkeiten.
Wanderkarten 1:25000: Multigraphic 295/296 Gruppo dell’Adamello und 293/294 Prealpi Lombardi; enthalten allerdings weniger touristische Informationen als die Kompass-Karten und sind etwas veraltet (z. T. sind noch mittlerweile wegen objektiver Gefahren (Bergrutsche etc.) von der Wegekommission nicht mehr empfohlene Wegführungen eingezeichnet).
Eine Wegeübersicht mit Hüttenbeschreibungen und Gehzeiten gibt es kostenlos von der Parkverwaltung.

Web-Seiten:
montagne camune
www.prolocobreno.it/altavia.asp
www.altaquota.it/SchedaAltavia.asp?IdAltavia=1
www.onion.it/adamello/
www.parks.it/parco.adamello/
www.welcome.it/altitudine/massimo/ada.htm
www.editeltn.it/c8/Cons.AltaValGiu.html
www.orobie.it
www.astrogeo.va.it/bodymete.htm(Wetterbericht)
Archäologische Informationen (Linkseite)
Informationen des CAI Breno
Informationen des CAI Brescia