»Ich erinnere mich ganz genau des Augenblickes, da ich zuerst den Namen »Julische Alpen« hörte. (…)
Wenn sie mir auf den Höhen des Karstes erschienen, im farbigen Abglanz des nahen Meeres, vom Licht der südlichen Sonne überflutet, so feierlich ruhig, so unerreichbar weit, umfasste ich sie mit aller Kraft und mit allen Träumen meiner jungen Seele. Und wie es damals war, so ist es bis heute geblieben. (…)
So viel ich an Bergen gesehen habe, nichts kommt in meinem Herzen den Julischen gleich.«
Julius Kugy, Aus dem Leben eines Bergsteigers
Fast wäre unsere diesjährige Sommertour ja ins Wasser, respektive den Schlamm gefallen. Statt auf dem Wischberg sah ich uns schon auf Ischia. Im Winter konnte Ursulas vor Schmerzen fast nicht mehr gehen, im März war sie noch in einer orthopädische Klinik. Statt AV-Führer und Karten wälzten wir jetzt medizinische Literatur und den Anatomieatlas – ich wusste ja gar nicht, wie viele Knochen, Bänder und Muskeln ein Mensch hat. Seitdem gehen mir Wörter wie »Psoasmuskel«, »Iliosakralgelenk« und »Cervicobrachialgie« stolperfrei von den Lippen, und ich konnte meine neuen Kenntnisse schon prima beruflich in der Ausbildung von Informatikkaufleuten mit Branchenschwerpunkt Krankenhaus verwenden; die DRGs habe ich jetzt im Griff.
Aber ich schweife ab… Eigentlich hatte sich Ursula auf die diesjährige Tour besonders gefreut, wollte sie doch nach fast einem Vierteljahrhundert das Gebiet ihrer ersten alpinistischen (Un-)Taten wiedersehen – die Julischen Alpen. Und da man es nach so langer Zeit besser ruhig angeht, wollten wir uns auf das Gebiet der westlichen Julier, also den italienischen Teil, beschränken. Geplant hatten wir eine Durchquerung bzw. Umrundung von Hütte zu Hütte, eine anspruchsvolle hochalpine Wanderung (mit zahlreichen Klettersteigen), wie sie unter dem Titel »Anello delle Giulie – Auf den Spuren von Julius Kugy« auch organisiert angeboten wird. Das schien jetzt natürlich illusorisch und der Orthopäde, vorsichtig um Rat gefragt, fiel fast in Ohnmacht: »Tageswanderungen, ohne Gepäck, keine Kraxeleien« war alles, was er sich schließlich abringen ließ.
Die Vorbereitungen
Die Pläne mussten also etwas abgeändert werden. Statt Hüttentour war jetzt Standquartier angesagt. Unsere Wahl fiel auf den kleinen Ort Valbruna (einst Wolfsbach), was uns keine Schande schien, denn schließlich hatte ja auch Dr. Kugy dort die Sommer seiner späteren Jahre (auweia) verbracht. Wir wohnten zwar nicht bei Oitzingers, aber die Inhaberin des kleinen, sehr familiären Hotels, in dem wir uns einquartierten, hatte eine Großmutter, die eine Kusine von Anton Oitzinger … oder so ähnlich.
Wir waren also im Seisera-Tal und somit am Nordfuß der Wischberg-Gruppe, was schon einige Tagestouren sicherte. In die anderen Richtungen (z. B. zum Raibler See, den Weißenfelser Seen oder mal für eine Städtetour nach Udine) würde uns der SAF-Bus bringen. Da dieser zur Sella Nevea (Zugang zur Südseite von Wischberg und Montasch, zu den Montasch-Almen und zum Kanin) jedoch zu unchristlich früher Zeit und ins Dogna-Tal überhaupt nicht fährt, mieteten wir uns für einige Tage noch einen Kleinwagen.
Unsere Karten (halbwegs aktuell) und Führer (mittlerweile 20+), hatte die Touristeninformation in Tarvis noch mit einem ganzen Packen sehr aufwändig gemachter Faltblätter zu den einzelnen Zielen ergänzt.
Die Touren
Der erste Tag war schon Urlaub mittendrin: Ferragosto (Mariä Himmelfahrt) ist der Höhepunkt der italienischen Sommerferien! Eigentlich wollten wir ihn passend mit einer »Wallfahrt« zum Luschari-Berg beginnen. Unsere Wirtin war jedoch entsetzt: »Wollt ihr Euch tottrampeln lassen? Kommt lieber mit uns! Heute ist Pasta-Fest!« Also pilgerten wir mit der gesamten Dorfgemeinschaft über einen Forstweg zur Zita-Kapelle auf der Rauna-Alm zu Fuße des Mittagskofels, unterwegs ständig überholt von Treckern, auf deren mit Matratzen gepolsterten Anhängern sich die Kinder und Alten fröhlich nach oben schaukeln ließen.
Die Kapelle wurde von ungarischen Soldaten 1916 errichtet und nach der Kaiserin benannt. Dort fand dann eine Bergmesse unter freiem Himmel statt, mit Ansprachen von Kärntner Schützen und Alpini. Einer Frau dauerte das wohl zu lange, jedenfalls fragte sie den Pfarrer, ob denn die Messe zu Ende sei. Der lächelte und entließ die Gemeinde mit einem »Gehet hin in Frieden zu Eurer Pasta!«
Die wurde schon von kräftigen Armen vor der Almhütte in großen Bottichen angerührt. Jeder suchte sich ein Plätzchen an den Tischen oder im Gras, die Verschlüsse von Bierflaschen ploppten, jemand griff zur Quetschkommode und die Kinder wuselten dazwischen herum. Ursula war entzückt und fotografierte, was das Zeug hielt.
Und wenn Sie sich jetzt fragen, warum Sie hier kein Foto von dem buntem Treiben sehen, dann müssen Sie sich noch zwei Tage (im Bericht) gedulden.
Den Luschari-Ausflug machten wir am folgenden Tag, mit Aufstiegshilfe, so sagt man wohl; befand sich die Talstation der Seilbahn doch am Ortseingang von Valbruna, wie uns die Karte verriet. Leider verriet sie uns nicht, dass selbige seit letztem Winter stillgelegt ist. Die Talstation der komplett erneuerten Gondelbahn – die Universiade 2003 lässt grüßen – befindet sich jetzt an der SS 13 etwa auf Höhe des Ortszentrums von Camporosso. Während wir noch etwas belämmert guckten, kam zum Glück gerade der Bus und wir konnten uns ein Stück Weg sparen.
Bei Seilbahnen gibt es für AV-Mitglieder oft einen Nachlass, und wir zückten auch schon die Ausweise. Diesmal waren wir allerdings im falschen Verein: Rabatt nur für Priester und Ordensleute. Dafür genossen wir dann das Privileg, in einer Gondel zusammen mit der »Mittagschicht« in Form eines Paters und einer Nonne »dem Himmel näher« (O-Ton Luschari-Werbung), zumindest bis 1789 m, zu schweben.
Auf dem Berg scharen sich um die Wallfahrtskirche einige Hospize und Gaststätten und die unvermeidlichen Souvenir-Buden. Der Niederrheiner mag sich das in etwa vorstellen wie ein Mini-Kevelaer in luftiger Höh’. Die Lage ist allerdings traumhaft und man kann verstehen, dass dieser Platz die Pilger aus dem Dreiländereck in Scharen anzieht.
Wir zockelten aber gleich weiter in Richtung Steinerner Jäger, der über einen Pfad und eine kurze Rinne mit Seil (Orthopäden weghören) in einer guten Stunde zu erreichen ist. Vom Gipfel (2071 m, mit Kreuz und Glocke) bietet sich ein fantastischer Blick in die hohen Nordwände der Wischberggruppe. Vom Luschari-Berg kann man dann auf einer (für den allgemeinen Verkehr gesperrten) Fahrstraße ins Seisera-Tal zurückwandern.
Um es nicht gleich zu übertreiben, blieben wir den Samstag am Boden und fuhren mit dem direkten Bus zu einer Kultur- und Einkaufstour nach Udine, der Provinzhauptstadt. Das ist eine sehr angenehme Stadt mit vielen Gebäuden aus venezianischer Zeit und laubengesäumten Geschäftsstraßen, teilweise Fußgängerzone. Als Niederrheiner registrierten wir wohlwollend, dass viele mit dem Fahrrad unterwegs sind. Ursula machte fleißig Fotos und wunderte sich nur, dass der Film nicht zu Ende ging. Misstrauisch geworden, schaute sie vorsichtig nach und erbleichte – sie hatte überhaupt keinen eingelegt! (Das Dorffest konnte sie ja leider nicht mehr nachstellen, aber zum Steinernen Jäger hat sie mich noch ein zweites Mal geschleppt.)
Dann erkundeten wir die hintere Seisera und machten Ausflüge zu den Hütten Pellarini und Grego. Zur Grego-Hütte führt der Weg anfangs auf einer Naturstraße durch Wald (Abkürzung möglich), die einmal über den Somdogna-Sattel Anschluss zum Dogna-Tal herstellen sollte. Die Bauarbeiten wurden 1944 eingestellt, was den ruheliebenden Wanderer heute freut. Die Hütte liegt auf einer Bergschulter und von der Terrasse hat man einen Prachtblick auf die Nordwände und Gipfel der Wischberggruppe. Bei deren Bestimmung hilft ein in Dolomit gehauenes Steinrelief am Geländer. Von der Grego-Hütte gingen wir noch zum Köpfach (Jôf di Somdogna). 1915 – 1918 war das ein Eckpfeiler der italienischen Befestigungen und entsprechend viele Reste von oberirdischen Bauten, Kavernen und Schützengräben finden sich am Weg.
Der beste und beliebteste Aussichtsberg oberhalb des Somdogna-Sattels ist allerdings der Mittagskofel (Jôf di Miezegnot, 1.889 m). Er bietet einen weiten Blick ins Kanaltal und zum Alpenhauptkamm. Die Gipfel und Grate um ihn herum sind gespickt mit Befestigungen, verbunden durch heute wiederhergestellte Wege. Über ihn und seine Nachbarn verlief 1914 die Grenze: Das Kanaltal war österreichisch, das Dogna-Tal italienisch. Hier war vorderste Frontlinie. Zu Kriegsbeginn wurde der Mittagskofel von Italien besetzt. Seine beherrschende Stellung zwang die Österreicher im Kanal- und Seiseratal sich wie Maulwürfe in die benachbarten Berge zu wühlen. In einem Buch mit zeitgenössischen Bildern konnten wir uns die teils wahnwitzigen Konstruktionen – Galerien, Pfahlbauten, Hängebrücken und Schräg- und Horizontalseilbahnen – anschauen, deren Grundmauern noch allenthalben zu sehen sind. Julius Kugy war hier als Alpiner Referent tätig.
Da der Anmarschweg aus der Seisera zum Bergfuß für Ursula aber zu lang und ich auf das abgelegene Tal neugierig war, fuhren wir mit einem Mietwagen durch’s ganze Dognatal bis zum Somdogna-Sattel. Die Straße besteht praktisch nur aus Kurven und ist so schmal, dass kein Linienbus fahren kann. (Allerdings könnte ich mir gut vorstellen, dass der Bedarf für ein Kleinbus-Taxi da wäre.)
Der Aufstiegsweg beginnt an der Somdogna-Alm, zieht angenehm in Serpentinen aufwärts und geht dann kurz unter dem Gipfel in steiles Geröll über. In einer Mulde unterhalb steht auf den Ruinen der alten italienischen Kommandantur das Bivacco Btg. Alpini Gemona, dessen Terrasse zur Rast einlädt. Daneben steht ein Klohäuschen, das zuzeiten auch als Telefonzelle dienen konnte, blinkte doch bei meinem Besuch aus den Tiefen des Aborts die Diode eines wohl »durchgeflutschten« Telefoninos. Jetzt stelle ich mir den nichtsahnenden Gast vor, wie er unvermittelt aus seiner Andacht gerissen wird. Pronto…
Hier im Dogna-Tal und auf der Montasch-Hochfläche auf der »anderen« Seite des Montasch werden zahlreiche Almen bewirtschaftet; auf einigen kann man direkt einkaufen. Auf der Dogna-Alm bekamen wir Schafskäse (zum Bedauern unserer Wirtin war der Ziegenkäse alle) und auf der Pecol-Alm (auf der Montasch-Hochfläche) unseren Lieblingskäse, den Montasio. Wer nicht so weit fahren möchte, findet in Malborghet direkt an der Durchgangsstraße unter einer überdimensionalen Käseecke einen Laden der Kooperative (auch sonntags geöffnet).
Da wir schon mal das Auto zur Verfügung hatten, nutzten wir es noch zu drei Ausflügen ins Raccolana-Tal, wobei wir uns beim erstenmal eine komplette Rundtour um Wischberg- und Montaschstock gönnten, d. h. über die Sella Nevea (den Nevea-Sattel) hinaus noch durchs Seebachtal am Raibler See vorbei nach Valbruna zurückfuhren.
Am Raibler See machten wir für eine kleine Rundwanderung Halt. Es gibt dort ein kleines Wassersportzentrum und auf den Schotterböden des Südufers treffen sich am Wochenende die Familien zum Picknick. Im einige Kilometer nördlich liegenden Ort, der dem See seinen Namen gab, zeugen nur noch die vor sich hin rottenden Förder- und Aufbereitungsanlagen des Bergwerks und die Wunden im Königsberg (und natürlich ein Museum) vom Jahrhunderte langen Schürfen nach Bleierz (es gibt sogar einen Stollen – mit Eisenbahngleisen -, der bis nach Slowenien reicht); der Betrieb wurde in den achtziger Jahren eingestellt.
Wenn man jetzt diese Trostlosigkeit sieht und dann liest, dass die Bleivorkommen im (damals österreichischen) Seebachtal mit ein Grund für den Kriegseintritt Italiens 1915 waren, wird einem die Sinnlosigkeit solcher Kriege wieder einmal drastisch vor Augen geführt. Oder wie es in dem Jugendbuch »In den Alpen« von Dirk-Holger Teichmann (Ravensburg 1980) treffend heißt: »Im ersten Weltkrieg mussten die Soldaten ganze Geschützstellungen auf den Berggipfeln einrichten, um Soldaten einer gegnerischen Armee von einem anderen Gipfel zu vertreiben oder fernzuhalten! Wenn alle diese Kosten und Mühen für friedliche Zwecke aufgewendet worden wären – es nicht auszudenken, wie gut es uns ginge!«.
An den beiden folgenden Tagen erkundeten wir die Höhen beiderseits des Raccolana-Tals. Eine Tour führte uns über die weitausgedehnten Montasch-Almen zur »Via Alta«, die sich auf der rechten Talschulter, meist durch Wald, bis nach Chiusaforte hinunterzieht (nicht zu verwechseln mit der »Alta Via Resiana«, die auf der gegenüberliegenden Talseite verläuft). Im Ersten Weltkrieg wurde sie als Versorgungsweg angelegt, ist aber heute nur noch als schmaler Pfad zu begehen; die Abstiegsmöglichkeiten zwischendurch (z. B. nach Piani di là, einem malerischen Dörfchen mit notorischen Fotomotiven) sind alle sehr steil.
Von der »Via Alta« führt ein Zugangsweg über die Forca di Vandul zum Cimone (2.380 m), einem Gipfel abseits der Trampelpfade zum Montasch. (Bei Frau Pilz steht »viel begangen«, wir begegneten an einem Augusttag lediglich zwei slowenische Wanderern und zwei Gämsen.)
Eine Aufstiegsmöglichkeit zum Cimone führt über die Ferrata Norina, wobei ich auf der Karte (ist halt für mittelalte Augen etwas kleingedruckt) erst »Ferrata Nonna« buchstabierte und zu Ursula meinte, das wäre doch was für sie.
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(‘Tschuldigung, jetzt ist mir grade die Tastatur etwas verrutscht.)
Den nächsten Tag ließen wir uns in der Kabine der Kanin-Seilbahn zur Bergstation unterhalb der Gilberti-Hütte tragen und wanderten unter den Hängen des Kanin auf einem ebenfalls sehr schönen Höhenweg (aber diesmal in strauch- und baumloser Felslandschaft mit ausgedehnten Karrenformationen) zum Grubia-Sattel mit dem Bivacco Marussich. Übrigens kann man statt auf den Felsen auch in den Felsen wandern (oder kriechen). Es gibt hier einige Höhlen (die Zahl nimmt Richtung Karst noch zu) und Unterkünfte (Bivacco Spéleologico), die den Höhlenforschern als Standquartier dienen.
Dieser Weg ist für Familienausflüge sehr beliebt, da er wenig exponiert ist und das (blitzsaubere) Bivacco einen guten Picknickplatz bietet. Etwa auf der Hälfte der Strecke zweigt der Normalweg zum Kanin ab, den wir für dieses Mal leider (im wahrsten Sinne des Wortes) links liegen lassen mussten.
Vom Bivacco kann man wieder ins Raccolana- oder ins Resia-Tal absteigen. Überhaupt gibt es für passionierte Weitwanderer aus unseren Breiten noch viele Wege zu einsamen Gipfeln und Tälern der Julischen Voralpen zu entdecken, auf denen man oft den ganzen Tag alleine unterwegs ist. Wer die Tabacco-Karten studiert, wird einen Weg mit der Bezeichnung AVAT finden. Es handelt sich um den »Alta Via Alpi Tarvisiane«, einen Weitwanderweg, der die Hütten des Gebietes miteinander verbindet.
Wir befinden uns hier im »Parco Naturale Prealpi Giulie«, und so gibt es neuerdings zwischen Gilberti-Hütte und Bila-Pec-Sattel (dem Standort der alten Kanin-Hütte) den in der Art eines Alpinariums durch die verschiedenen Vegetationszonen gelegten (sogar mit Mini-Klettersteig!) »Percorso Botanico Bila Pec«.
Wir kehrten noch kurz auf der Gilberti-Hütte ein und erfuhren im Gespräch mit der Wirtin, was wir auch schon anderswo gehört hatten, dass nämlich die Zahl der Wanderer, die von Hütte zu Hütte unterwegs sind, in den letzten Jahren drastisch abgenommen hat; lediglich am Wochenende sind die Hütten noch gut belegt.
Ansonsten hielten wir uns am Nevea-Sattel nicht länger auf; die Hotelsiedlung ist im Sommer ein eher trostloser Anblick, was man aber auch von anderen künstlichen Wintersportsiedlungen her kennt.
Erinnerst Du dich nicht mehr an jenen April,
Welch langer Zug die Grenze erreichen will,
Der Tausende Alpini mit sich trug?
Auf, spring, es ist die Abschiedsstunde, die Dir schlug…Nach drei Tagen auf eiserner Bahn
Und noch mal zwei’n in langem Zieh’n
Kamen wir an auf dem Monte Kanin
Und der heitere Himmel sah uns ruhen dann.Nicht mehr wohlbedeckt auf Laken und Kissen,
Nichts mehr fühlen von Deinen warmen Küssen.
Nur die Raubvögel hört man hier noch schrei’n,
Im Sturm stimmen sie in das Brüllen der Kanonen ein.Wenn ihr Hunger habt, seht euch satt an der Ferne
Wenn euch dürstet, nehmt zur Hand die leere Tasse
Wenn euch dürstet, nehmt zur Hand die leere Tasse
Denn wir werden uns erfrischen an dem Schnee, der fallen wird.
(Übers. v. Verf.)
Zwei weitere Tage führten uns zu den Weißenfelser Seen (an der slowenischen Grenze) und den umliegenden Bergen. Von Tarvis (und Slowenien) gibt es mehrmals täglich einen Linienbus.
Die beiden Seen liegen wie Edelsteine (man kommt wirklich ins Schwärmen!) zu Füßen von Mangart und Hohe Ponza (um die bekanntesten zu nennen).
Im Hochsommer ist an den Ufern entsprechend viel Betrieb. Man braucht allerdings nur wenige hundert Meter zu gehen, um dem Trubel zu entkommen. Ein sehr schöner Waldweg führt zum Rifugio Zacchi und weiter über die Alpe Vecchia bis unmittelbar unter die Mangart-Wände und dann wieder über einsame Almen zu den Seen zurück. Natürlich locken auch die Klettersteige auf Hohe Ponza und Mangart. Zwischen beiden Seen liegen versteckt im Wald riesige Findlinge (es sollen die größten Europas sein). Bei uns wäre wahrscheinlich ein Zaun drum herum mit Tafel »Berühren verboten«. Die Italiener haben keine Hemmungen, am größten von ihnen – Masso Pirona – eine Kletterroute einzurichten.
Auch von hier gibt es Übergänge in die Nachbartäler, z. B. zur deutschen Sprachinsel von Klein Reuth im Valromana (Römertal), das von prächtigem Hochwald bedeckt wird. Von hier kann man wieder leicht zur Hauptstraße zurückwandern und den Bus nach Tarvis nehmen.
Hüttenabende entfielen natürlich diesmal. Aber wir konnten sie ganz gut ersetzten durch die Gespräche an der Hotelbar, wo sich abends neben den Gästen auch Arbeiter aus der Gegend zu einem Feierabendbierchen einfanden. Dabei wurde bunt Italienisch, Slowenisch und Deutsch durcheinander parliert. Vielleicht kann ich zum Abschluss daraus eine lustige und eine ernste Geschichte bringen.
So entwickelte sich einmal aus einer harmlosen Zwischenbemerkung eines Gastes eine typisch italienische Betriebsamkeit. Er hatte eigentlich nur gesagt: »Als ich letzten Dienstag hier war, …«, da fuhr ihm die Wirtin gleich in die Parade: »Kann nicht sein, dienstags haben wir Ruhetag«. Daraus entspann sich dann eine hitzige Diskussion, bei der man sich nicht scheute abends um halb Zehn in der Weltgeschichte herumzutelefonieren (jede Gelegenheit dazu ist einem Italiener willkommen), um seinen eigenen Standpunkt bestätigt zu finden. Wir wurden von den Parteien sogar mit Freirunden bestochen. Herausgekommen ist bei dem Palaver natürlich nix, aber es war sehr unterhaltsam. Die Wirtin war übrigens eine Frau ganz nach unserem Geschmack: Geradeheraus, mit beiden Beinen im Leben stehend und nicht auf den Mund gefallen. Am letzten Tag unseres Urlaubs sauste sie noch nach Tarvis, um jedem von uns ein T-Shirt (siehe rechts) zu kaufen, zum Trost, weil wir ja nicht auf den Montasch konnten…
Ein andermal sahen wir abends bei der Rückkehr den Rettungshubschrauber über dem Tal kreisen. Auch morgens vor unserem Aufbruch war er wieder da. Wir dachten an eine Suche nach Bergsteigern. Am Abend fanden wir im Hotelgarten eine aufgeregte Runde vor und erfuhren, dass nicht nach einem Bergsteiger, sondern nach einem Dorfbewohner gesucht worden war. Junge Leute aus dem Dorf waren auf dem Luschari gewesen und abends über die Forststraße ins Tal zurück gefahren. Unterwegs hatte es Streit zwischen einem Paar gegeben und der junge Mann war wütend aus dem Auto ausgestiegen, um querfeldein zu Fuß nach Hause zu gehen. Am Nachmittag hatte man ihn dann im Wald mit tödlichen Kopfverletzungen gefunden, er war in der einbrechenden Dunkelheit abgestürzt (wohlgemerkt, als Ortskundiger und nicht im Hochgebirge!). Richtig gruslig war aber dabei, was die Hotelbesitzerin uns glaubhaft berichtete: Mittags sei ein Mann in der Bar aufgetaucht und habe sich erboten, den Gästen aus der Hand ihre Zukunft zu lesen. Einige gingen darauf ein, sie habe aber abgelehnt, weil er so unheimliche Augen gehabt habe. Als die auch anwesende Freundin des Vermissten ständig unruhig nach draußen in den Garten ging, habe er gesagt »Du brauchst nicht auf ihn zu warten, er kommt nicht mehr«.
Fazit
Diese Tour führte uns in Berge, die völlig zu Unrecht im Schatten der »großen« Julier oder der Dolomiten stehen. Vor allem ausdauernde Bergwanderer oder Klettersteiggeher kommen auf ihre Kosten. Abgesehen von leicht erreichbaren Zielen oder ausgesprochenen Modebergen wie Montasch oder Mangart findet der Bergsteiger selbst im August einsame Wege (auf der Via Alta haben wir z. B. den ganzen Tag außer ein paar Gämsen nur zwei Wanderer getroffen).
Das Schlusswort – quasi als Trostpflaster für die von mir doch etwas vermissten »Kraxeleien« (ein bisschen war es natürlich, als säße man vor einem reichgedeckten Tisch und darf nur vorsichtig kosten) – soll aber ein Berufenerer haben:
»Das Wort »Bergsport« hat mir immer etwas weh getan. Es deutet mir zu sehr auf Oberflächlichkeit. Man suche nicht das Klettergerüst des Berges, man suche seine Seele.« – Julius Kugy
Ursula (Bilder) und Michael (Text), August 2002
Praktische Hinweise
Anreise und Verbindungen vor Ort: Aus Deutschland: Bahnlinie München oder Passau – Villach – Tarvisio Boscoverde; Auskunft von der DB. Vom Bahnhofsvorplatz in Villach gibt es auch einen Bus der SAF (geht bis Udine). Der Fahrplan der SAF-Busse ist in erster Linie auf die Bedürfnisse der Einheimischen ausgerichtet, daher sonntags stark eingeschränkt. Ins Dogna-Tal gibt es gar keine Linie; eine durchgehende Linie Tarvis Raibl – Sella Nevea – Chiusaforte gibt es nicht, nur Stichstrecken von Tarvis nach Raibl und von Chiusaforte zur Sella Nevea. Einzelheiten siehe Linienplan.
Unterkunft: Im Gebiet gibt es 8 Hütten (Monte Santo di Lussari, Pellarini, Grego, Brazza, Corsi, Divisione Julia, Gilberti und Zacchi) und etliche Bivacchi; siehe DAV Hüttenverzeichnis, Band II: Südalpen oder unsere Verweise zu Hüttenverzeichnissen.Informationen zu Hotels, Pensionen und Agriturismo vom Fremdenverkehrsamt in Tarvis (siehe unten). Wir wohnten im »Picchio Nero« (Schwarzspecht) in Valbruna, einem familiären kleinen Hotel mit guter Küche.
Literatur:
(Es sind nur Titel angegeben, die wir auch im Bücherschrank stehen haben, also teilweise veraltete Auflagen)
- Hellmut Schöner, Großer Führer Julische Alpen, Bergverlag Rudolf Rother, 5. Auflage 1978.
- Frass/Höfler/Werner/Heindl, Klettersteigführer Östliche Dolomiten (mit Julischen und Steiner Alpen, Karawanken, Karnischem Hauptkamm und Lienzer Dolomiten), Bergverlag Rudolf Rother, 1. Auflage 1979.
- Ingomar Prust, Kleiner Führer durch die Westlichen Julischen Alpen und die Berge der Isonzo-Front 1915 – 1917, Bergverlag Rudolf Rother, 1. Auflage 1978. (Touristisch veraltet, enthält aber Hintergrundinformationen zu den Spuren des Krieges, auf die man überall trifft.)
- Marek Podhorský, Julische Alpen, Rother Wanderführer, Bergverlag Rudolf Rother, 1. Auflage 2000
- Erik Vallensperg/Willi Senft, Erlebnis Julische Alpen, Leopold Stocker Verlag 1980. (Text- und Bildband.)
- Ingrid Pilz, Naturparadies Julische Alpen, Verlag Styria, 3. Auflage 1999. (Aktueller, farbiger Bildband mit beigelegtem Tourenheft für Wanderungen, Bergtouren, Klettersteige.)
- Paul Werner, Klettersteigatlas Alpen, Bergverlag Rudolf Rother, 4. Auflage 1997. (Enthält ab Nr. 218 aktuelle Beschreibungen aller Klettersteige des Gebiets.)
- Furio Scrimali, Alpi Giulie, Verlag LINT, Trieste 2001, ISBN 88-8190-151-X, 38,73 €. (Dieses Buch haben wir in Tarvis gekauft. Es enthält 40 großformatige, farbige Panoramen mit exakten Gipfelbestimmungen und ist ein Augenschmaus! Der Text ist in italienisch, slowenisch und deutsch. Und als Clou gibt es dazu ein separat zu erstehendes Beiheft, das alle Panoramen verkleinert und in schwarz-weiß als plastifizierte Streifen enthält, die man ausschneiden und dann in einem Kartonschächtelchen, das aus dem Umschlag zusammengeklebt wird, im Rucksack mitführen kann.)
- Julius Kugy, Aus dem Leben eines Bergsteigers, Bergverlag Rudolf Rother, 10. Auflage 1989.
- Sagen aus Friaul und den Julischen Alpen, gesammelt und herausgegeben von Anton v. Mailly, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1922
- Faltblätter mit Tourenvorschlägen zu einzelnen Zielen verschickt des Fremdenverkehrsamt in Tarvis (siehe unten).
- Eine Aufstellung mit italienischer Literatur zum Gebiet findet man hier.
Karten:
- Übersichtskarte: Region Friaul-Julisch Venetien 1:250.000 (kostenlos vom Fremdenverkehrsamt) oder Generalkarte Italien 3 (1:200.000)
- Wanderkarten 1:25.000: Tabacco 018 (Alpi Carniche orientali – Canal del Ferro), 019 (Alpi Giuli occidentali Tarvisiano) und ggf. 027 (Canìn – Valli di Resia e Raccolana)
Web-Seiten:
- Region Friaul-Julisch Venetien
- Fremdenverkehrsamt Tarvis und Sella Nevea. Sehr schöne und informative Seiten. Das Intro ist ein drehbares Panorama (eines Teils) der Westlichen Julier! Hier auch Informationen zu Unterkünften und der idealen Rundtour »Anello delle Giulie – Sulle Orme di Julius Kugy« (Auf den Spuren von Julius Kugy).
- Parco Naturale Prealpi Giulie.
- Beschreibung einer Wanderung auf der alten Bahntrasse (»Pontebbana«) zwischen Pontebba und Chiusaforte.
Sprache:
Wir sind hier im Dreiländereck Österreich – Slowenien – Italien. Die Grenze zwischen Italien und Österreich verlief bis 1918 auf der Linie Pontebba/Pontafel, Mittagskofelzug, Somdogna-Sattel, Montasch, Nevea-Pass. Daher wird im Kanaltal, im Seisera-Tal und im Seebachtal Deutsch (Dialekt) verstanden und gesprochen. Tarvisio/Tarvis und der Luschari-Berg/Lussari werden auch von zahlreichen österreichischen Tagesgästen besucht.
Hier noch die Übersetzung einiger Orts- und Bergnamen:
deutsch | italienisch | deutsch | italienisch |
Tarvis Saifnitz Wolfsbach Malborghet Lussnitz Pontafel Luschari Raibl Weißenfels Kaltwasser Weißenbach Seebach |
Tarvisio Camporosso Valbruna Malborghetto Bagni di Lussnizza Pontebba Lussari Cave del Predil Fusine Riofreddo Riobianco Rio del Lago |
Leopoldskirchner Alm Mittagskofel Zweispitz Köpfach Montasch Wischberg Hohe Gamsmutter Schwalbenspitzen Königsberg Kanin Praschniksattel Steinerner Jäger |
Malga Dogna Jôf di Miezegnot Due Pizzi Jôf di Somdogna Jôf di Montasio Jôf Fuart Cima alta delle Camosci Cime delle Rondini Monte Re Canìn Sella Prasnik Cacciatore |